Ein Plädoyer für mehr Medienkompetenz
Gähn, Medienkompetenz wird sich jetzt einer denken – noch jemand der darüber schreibt.
Jetzt aber mal ehrlich: Ich habe ein zunehmend beklemmendes Gefühl, wenn ich an unsere Medienlandschaft, die Art und Weise wie sich viele informieren und die gefühlt binäre, kompromisslose und hässige Diskussionskultur denke.
Wenn man sieht, wie stark sich Interessensgruppen über geschlossene Informationskanäle (Telegram, etc.) informieren und wie einfach Falschinformation durch ganze Netzwerke diffundieren (siehe die Sputim-Krankheit, die Kinder explodieren lassen soll), läuft mir ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Hier bilden sich ganze Parallelgesellschaften, die nicht mehr offen für andere Meinungen und Anschauungen sind (Immerhin, für die sog. Filter-Bubble gibt es wissenschaftlich wenig Evidenz 1, 2).
Nachvollziehbar ist, dass durch die Geschäftsmodelle der Medienhäuser («Je reisserischer und negativer die Schlagzeile, desto mehr Traffic und Klicks auf die Werbeanzeigen»), polarisierender Gruppierungen mehr Aufmerksamkeit geschenkt als sie es verdient hätten (im Sinne einer ausgewogenen Berichterstattung). Das Weiterverbreiten und die Diskussion dieser Inhalte führen zusätzlich zu einem sehr geladenen Stimmungsbild. Wer die 90-9-1 Regel der Diskussionen kennt, kann hier besser beurteilen, dass es nur wenige «Laute» sind, die hier für den Ton sorgen. Die 90-9-1 Regel steht für die 90% der User einer Plattform, die sich nicht an einer Diskussion beteiligen, 9% die Inhalte liken und teilen und 1% sie tatsächlich selbst Inhalte verfassen. So deckt die zu beobachtende Diskussion immer nur die Meinung eines Bruchteils der Gesamtpopulation ab.
Ist also also alles nur halb so wild?
Ich meine Nein. Die Tatsache, dass öffentliche Diskussionen durch diese 1% der Bevölkerung geführt werden, ist auf lange Frist für eine konsensorientierte Demokratie ein Problem. Denn die Diskussion vermag den bleibenden Eindruck zu vermitteln, dass es nur noch ein richtig und falsch gibt. In der aktuellen Corona-Pandemie gibt es nur noch die eine oder andere Seite. Eine kritische, wissenschaftlich basierte, konsensorientierte Diskussion sucht man lange.
Was macht das mit unserer Gesellschaft. Nicht heute oder morgen, sondern in 10, 20, 30 Jahren? Dann, wenn mir nur noch Leute zuhören, wenn ich meine Argumente in emotional aufgeladener, polarisierender Weise vortragen muss?
Meiner Meinung nach hilft es, wenn wir alle ein Gefühl dafür haben, wie Diskussionen auf Online Plattformen einzuordnen sind, wie wir Medien kritisch hinterfragen, wie wir verantwortungsvoll mit digitalen Medien umgehen.
Im Grundsatz ist der Weg dahin offensichtlich: Als Gesellschaft müssen wir Rahmenbedingungen schaffen, die es uns allen erlaubt, Medien und Diskussion im digitalen Raum kritisch zu reflektieren, um eine unverzerrte Meinungsbildung zu ermöglichen.
Wo lehren wir Medienkompetenz?
Kurz recherchiert, stelle ich fest, dass im Kanton Graubünden für das Modul Medien und Informatik, wovon «Die Schülerinnen und Schüler können Medien und Medienbeiträge entschlüsseln, reflektieren und nutzen.» ein Teillernziel ist, ab der fünften Klasse eine Lektion im Lehrplan vorgesehen ist. Ab der fünften Klasse! Eine einzige Lektion! Das kann nicht ausreichend sein. Gerade wenn im Vergleich dazu 3 Lektionen Sport vorgesehen sind. Können unsere Schülerinnen und Schüler also gut Fussball spielen aber keine Computer bedienen? Auf den ersten, zugegebenermassen eingefärbten Blick, scheint mir hier ein Missverhältnis zu bestehen. Immerhin beschäftigen wir uns ab der Primarstufe mit dem Thema.
Weiter stellt sich mir die Frage, wie sich alle anderen Alters-, und Gesellschaftsschichten weiterbilden wollen, um hier überhaupt in der Lage zu sein, Inhalte mit der richtigen Brille zu betrachten? Würden wir unserer Jugend adäquate Medienkompetenzen beibringen, wäre es eine Frage der Zeit, aber so?
Wir brauchen Rahmenbedingungen, die es zumindest langfristig schaffen, grundlegende Medienkompetenzen in der Gesellschaft zu manifestieren. Wenn dies nicht über das lebenslange Lernen aller Alters- und Gesellschaftsschichten geht, dann fordere ich, dass wir die so wichtige Medienkompetenz stärker in der Volksschule verankern.
Und zum Schluss ist der richtige Umgang mit Medien ist nur der aller, allererste Schritt. Unsere Jugend braucht mehr Informatik-, Kreativ- und Umsetzungskompetenz für digitale Lösungen. Nur so gelingt es uns, in allen Bereichen der Gesellschaft innovativ zu werden und als Land auch in den nächsten 50 Jahren mit Innovation und Leistung unseren Wohlstand sicherzustellen!